Uwe Röser
ist Koordinator des Hochbegabtenzweigs am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium Greifswald. Er koordiniert und entwickelt gemeinsam mit seinen Kolleg:innen die Aktivitäten zur Förderung und Unterstützung von hochbegabten Schüler:innen. Zusätzlich leitet Uwe Röser einen Zusammenschluss aus Schulen zum systematischen landesweiten Austausch zur Begabungs- und Begabtenförderung. Es ist eines von zwei Netzwerken in Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen der Initiative „
Foto: Karg-Stiftung
Was hat für dich und euch als Schule die oberste Priorität im schulischen Umgang mit Underachievement?
Die oberste Priorität hat wohl die Gelassenheit im Umgang mit dem Phänomen. Underachievement entwickelt sich über einen längeren Zeitraum, das Ursachengeflecht ist äußerst komplex und oft sind die Schüler:innen in einem negativen Selbstbild gefangen. Das kann nur in einem langwierigen Prozess überschrieben werden. Eltern und Kolleg:innen muss verdeutlicht werden, dass dem Problem nur mit viel Geduld und abgestimmter gemeinsamer Interaktion begegnet werden kann. Es bedeutet auch, dass man schon bei ersten Anzeichen einer sich verändernden Lernhaltung bei Schüler:innen mit dem Verdachtsmoment „Underachievement“ arbeiten sollte.
Was trägt dazu bei, dass Schüler:innen ihr hohes Potenzial nicht in schulischen Leistungen zeigen können?
Wir wissen bei uns im Hochbegabtenzweig, dass wir bei den Kindern einen IQ von 130 Plus haben. Manche von diesen Kindern und Jugendlichen geraten in Prüfungssituationen unter Druck, manche haben wenig Selbstbewusstsein, andere sind laut, stören den Unterricht, können sich selbst nicht regulieren oder – ganz banal – sie finden schlichtweg ihre Schulunterlagen im Chaos ihres Rucksacks nicht wieder. Da hapert es an der Selbstorganisation. Auch das hindert, in der Schule erfolgreich zu sein. Schüler:innen können so in eine Spirale der Enttäuschung geraten – negative schulische Erfahrungen häufen sich und das führt dazu, dass die Schüler:innen sich immer weniger zutrauen.
Wie geht ihr vor, wenn ihr den Verdacht auf Underachievement habt?
Wenn der Verdacht auf Underachievement besteht, versuchen wir mit Tests die Ursachen für das Underachievement herauszufinden. Da Underachievement so viele Facetten hat, gehen wir dann mit den Schüler:innen in eine Beratung. Es schließt sich, sobald die Ergebnisse vorliegen, ein
Underachievement erfordert von Schulen manchmal Abweichungen vom Unterricht nach Lehrplan. Wie handhabt ihr das?
Ich mache das mal an einem konkreten Beispiel einer Schülerin fest, bei der wir neue, ungewöhnliche Wege gegangen sind. In Konferenzen des Kollegiums haben wir darüber nachgedacht, wie die Beschulung für sie aussehen könnte. Bei dieser Schülerin ist es einem aufmerksamen Schulsozialarbeiter zu verdanken, dass sie überhaupt auf eine
Die Siebtklässlerin verhielt sich im schulischen Kontext extrem unkooperativ, biss und zog sich schnell in ihre „Nintendo-Welt“ zurück. Nachdem eine
Die Klassenkonferenz beschloss, die Regelbeschulung auszusetzen (z. B. bei ihr keine zweite Fremdsprache einzuführen) und als Bildungsziel die Berufsreife mit Vorbereitung der Mittleren Reife anzustreben. Die Schülerin lernte, Arbeiten im Umfang von 45 Minuten zu erfüllen. Der Kontakt zum Berufsbildungswerk wurde frühzeitig hergestellt und während des Praktikums vertieft. Sie verließ das Gymnasium nach der 9. Klasse, holte die 10. Klasse nach und es schloss sich eine Ausbildung an, die erfolgreich absolviert wurde.
Welche Rolle spielen hier Entwicklungsbeeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten?
Wir stellen fest, dass die schulische Minderleistung mit einem bunten Strauß an Entwicklungsbeeinträchtigungen in Wechselwirkung steht. Wir beobachten beispielweise Schüler:innen, die aufgrund einer
Wir stellen auch fest, dass Schüler:innen aufgrund fehlender
Was versteht man unter Hyperlernen?
Begabte Schüler:innen können sich sehr intensiv mit Themen befassen und weit über den schulischen Rahmen hinaus Leistungserwartungen erfüllen. Diese Fähigkeit wird beim Hyperlernen in den Dienst einer Leistungskompensation gestellt. Der Versuch, ohne strategisches Wissen durch mehr und intensiveres Lernverhalten nicht mehr passende
Schulabsentismus, psychische Probleme oder eine vorzeitige Ausschulung aufgrund ausbleibender
Wir haben einen pädagogischen Blick für diese verschiedenen Typen von minderleistenden Hochbegabten entwickelt und wir wollen ihnen helfen, dass sie sich wieder besser zurechtfinden, selbstbewusster werden und mit ihrer
Mit wem und wie arbeitet ihr als Schule zusammen, um den Schüler:innen zu helfen?
Multiprofessionelle Teams sind bei der Thematik Underachievement unerlässlich. Der Fachbereich Schulpsychologie und die Schulsozialarbeit sitzen genauso mit am Tisch wie Vertreter:innen des Jugendamtes, die Eltern, Klassenleiter:in und Teile unseres Teams. Die Runden sind in der Regel nicht von Beginn an so groß. Doch meist wächst die Gruppe schnell an. Grundlegend bei der gemeinsamen Arbeit ist die Haltung, dass man diesen Kindern und Jugendlichen helfen will, sowie der Wunsch, Schüler:innen – auch in schwierigen Situationen – zu begleiten und auch Verantwortung für ihren Lern- und letztlich Bildungsprozess zu übernehmen.
Auf die Zusammenarbeit mit den Eltern im Familien-Café legen wir ebenfalls einen starken Fokus. Ohne die Unterstützung der Eltern bei ihrer Arbeit mit den Kindern bleibt der nachhaltige Erfolg meist aus. Gerade der Rückhalt der Familie ist für die Kinder wichtig, und dass sie merken, dass Schule und Eltern in ihrem Interesse an einem Strang ziehen. Dabei ist es wichtig, eine vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern aufzubauen und auch sie so zu stärken, dass sie ihren Kindern eine Stütze sind.