Bitte erklären Sie uns, was Drehtürmodell an Ihrer Schule bedeutet.
Das Drehtürmodell setzen wir seit ca. 20 Jahren um. Wir möchten dadurch Schüler:innen mit Lernvorsprüngen und/oder besonderen Begabungen Unterricht auf einem für sie passenden Niveau ermöglichen, damit Langeweile vermieden und echtes Lernen möglich wird.
Die Teilnahme am Drehtürmodell ist bei uns in den Fächern Mathe, Deutsch und Englisch möglich. Diese Fächer finden im Stundenplan aller Klassen parallel statt. Die Schüler:innen können so am Unterricht der nächsthöheren (oder auch der nächstniedrigeren) Klassenstufe teilnehmen. Ein Kind, das zum Beispiel in die 1. Klasse kommt und bereits lesen kann und alle Buchstaben kennt, kann so am Unterricht der 2. Klasse teilnehmen. Schulfrust und Langeweile können so vermieden werden.
Wie werden Schüler:innen für die Teilnahme am Drehtürmodell ausgewählt?
Das Drehtürmodell schlagen wir vor, wenn die Beobachtungen der Lehrkräfte auf einen Wissensvorsprung oder eine besondere Begabung hindeuten. Zum Beispiel, wenn Kinder beim Kindersprechtag über Unterforderung klagen oder aber auch wenn Eltern von Beobachtungen berichten, die einen Lernvorsprung oder Langeweile implizieren, etwa im Vorgespräch zur Einschulung. Kind und Eltern werden über den Ablauf und die Konsequenzen des Drehtürmodells beraten und die Vor- und Nachteile im gemeinsamen Gespräch abgewogen. Oft klären wir zur Bestätigung die Fähigkeiten der Kinder mittels standardisierter Tests zur Erfassung der Rechtschreibkompetenz (HSP+), zur Messung der Lesekompetenz (ELFE II) und zur Erfassung der mathematischen Fähigkeiten (DEMAT) ab.
Zu welchem Zeitpunkt wird in der Regel mit der Drehtür gestartet?
Wir machen vorschulischen Unterricht, das heißt, in der Zeit zwischen Ostern und Sommerferien kommen die Kinder vor dem eigentlichen Schulstart einmal in der Woche für 1,5 Stunden zum Unterricht in die Schule. Wenn wir dabei durch Beobachtung feststellen und durch eine Testung abklären können, dass ein Kind problemlos in Deutsch oder Mathe am Unterricht des zweiten Schuljahrs teilnehmen kann, starten wir direkt mit dem Schulbeginn.
Ansonsten drehen die Kinder zu einem beliebigen Zeitpunkt. Wenn das Kind so weit ist, dann machen wir das. Das hat aber mit dem System unserer Schule zu tun, in dem die Übergänge ohnehin fließend sind. Die 58 Kinder in Klasse 1 und 2 empfinden sich als eine Einheit, und ob man in dem einen oder dem anderen Klassenraum ist – das ist sowieso immer ein bisschen im Schwung und macht keinen großen Unterschied.
Welche Vorteile sehen Sie im Drehtürmodell?
Die Schüler:innen empfinden weniger Langeweile und werden in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. Sie haben außerdem die Chance, das Lernen selbst zu lernen: Wenn ein Kind in der Schule schon alles kann, lernt es nie, aufzupassen, etwas Neues mitzunehmen und hat eventuell auch keine Techniken, sich Inhalte anzueignen. Kinder mit einer sehr hohen Begabung haben oft auf der weiterführenden Schule Schwierigkeiten, denn dort ist immer etwas dabei, was sie nicht können. Dann scheitern sie möglicherweise, weil sie völlig daran verzweifeln, dass ihnen etwas nicht so zufliegt wie alles andere vorher.
Die Lehrkräfte profitieren vom Drehtürmodell, weil sie damit die Schüler:innen besser unterstützen können und weil es bei der Differenzierung hilft: Eigentlich besteht ja die Verpflichtung, alle Kinder individuell zu fördern. Wenn ich das ernst nehme, ist das aber kaum zu schaffen. Durch das Drehtürmodell muss ich nicht in einer riesigen Bandbreite differenzieren, weil ich Kinder einfach auf einem anderen Level arbeiten lasse. Ein begabtes Kind, das im Unterricht komplexe Fragen stellt, fordert mich wahnsinnig. Wenn ich die Gelegenheit habe, dieses Kind in der nächsthöheren Stufe mitarbeiten zu lassen, entlastet das meinen Unterricht und meine Ressourcen für die anderen Kinder. Die andere Lehrkraft wiederum kann dieses Kind sehr gut durch ihren normalen Unterricht fördern, auch wenn am Anfang vielleicht noch etwas mehr Beratungs- und Unterstützungsbedarf besteht.
Wie empfinden die Schüler:innen das Angebot?
Alle Schüler:innen nehmen eine Teilnahme am Drehtürmodell nur kurz als besonders wahr, nämlich zum Zeitpunkt des Beginns. Dann wird gesagt: „Der macht das, weil er schon alles kann, was die Zweitklässler machen, deshalb kommt er jetzt zu uns Drittklässlern“. Nach spätestens zwei Wochen ist es für alle völlig normal. Die Schüler:innen, die drehen, thematisieren es bis auf Ausnahmen ebenfalls kaum – ich glaube, weil es den Kindern so egal ist, ob sie in dem einen oder in dem anderen Raum sitzen.
Wir haben einen Schüler, der es manchmal anstrengend fand, dass er dabei mehr denken oder mal mehr üben musste. Immer wenn ihm das zu viel war, hat er gesagt: „Ich bin ja auch ein Drehtürkind!“ Hätte er aber nicht an der Drehtür teilgenommen, wäre er sehr auffällig gewesen, die überschüssige Energie muss ja irgendwo bleiben. Jetzt ist er im vierten Schuljahr und genießt es sehr, dass er ganz vieles schon kann. Er hat auch einen guten Weg gefunden, gegenüber der Lehrerin zu äußern, wenn er in den Inhalten schon sehr sicher ist. Dann gibt sie ihm weiterführendes Material. Und genauso nimmt er sich heraus, zu sagen: „Das weiß ich noch nicht so.“ Dann macht er die Sachen halt noch mal mit.
Wie reagieren die Eltern auf das Drehtürmodell, zum Beispiel wenn der Vorschlag zur Teilnahme gemacht wird?
Ganz unterschiedlich. Unser Konzept ist ja bei den Eltern durch unsere Homepage, Erzählungen oder den Tag der offenen Tür bekannt. Das heißt, es gibt durchaus Eltern, die mit einer konkreten Idee der Förderung kommen. Dann schauen wir gezielt darauf, weil wir Eltern dahingehend ernst nehmen. Wir machen uns aber auch selbst ein Bild und gehen dann entsprechend in die Beratung.
Es gibt auch Eltern, die sind regelrecht erschüttert und sagen: „Muss das wirklich sein? Müssen wir da jetzt was Besonderes machen?“ Die haben ein bisschen Angst vor diesem Schritt, vor allem auch davor, wie es dann unter anderem im vierten Schuljahr wird. In den meisten Fällen können wir ihnen diese Sorgen aber nehmen.
Gibt es noch weitere Herausforderungen?
Bei einigen Schulanfänger:innen sind die intellektuellen Fähigkeiten den motorischen oder sozialen Fähigkeiten weit voraus. Da zeigen sich gerade bei hochbegabten Kindern oft Diskrepanzen. Das kann daran hindern, sich in ein soziales Gefüge einzubringen, in dem die anderen Kinder alle älter sind und gar nicht mehr über bestimmte Dinge nachdenken.
Das heißt, manche Kinder haben sich intellektuell – vielleicht auch gefördert durch die Eltern – schon mit sehr komplexen Inhalten auseinandergesetzt. Sie können aber ihr Butterbrot in der Frühstückspause nicht alleine auspacken und die Sachen einigermaßen krümelfrei wieder wegräumen, damit man an dem Tisch weiterarbeiten kann. Oder wenn ich gleich ein Farbendiktat habe: Dann suche ich mir die Stifte am besten alle schon mal zusammen und muss sie dann nicht erst schnell rausfummeln. Das Fehlen solcher Techniken, also mit schulischen Abläufen klarzukommen, hemmt manchmal, dass ein Kind erfolgreich in einer höheren Stufe mitarbeiten kann, ganz unabhängig vom Intellekt.
Zu beachten ist auch, dass das Drehtürmodell nicht immer geeignet ist: Es kann sein, dass der Wissensvorsprung eher gering ist oder dass dieser Vorsprung nicht primär aus eigenem Interesse entstanden ist. Diese Kinder würden in der höheren Klassenstufe schnell an ihre Grenzen stoßen.
Manchmal, zum Beispiel wenn das Kind sozial noch nicht so gefestigt ist, belassen wir das Kind auch lieber erst mal da, wo es ist, und schauen etwas später, ob wir es dann versuchen. Dafür gibt es bei uns gute Zwischenlösungen: Das Kind bekommt vielleicht im klassischen Gefüge den Hausaufgabenplan der nächsthöheren Klasse oder Aufgaben aus der höheren Klassenstufe.
Aus diesen Gründen ist eine gemeinsame Beratung im Vorfeld so wichtig. Wenn wir uns mit Eltern und Kind für das Drehtürmodell entscheiden, tun wir das in der Regel nicht auf Probe, sondern nur, wenn wir sicher sind. In den vergangenen 16 Jahren gab es bei uns auch nur ein Kind, bei dem wir uns dazu entschieden haben, die Entscheidung für das Drehtürmodell wieder rückgängig zu machen, und ein Kind, bei dem wir danach festgestellt haben, dass es ihm später in der Pubertät seelisch nicht gutgetan hat. Dieses Kind hat im Übergang zur weiterführenden Schule ein Jahr übersprungen, und da war der Unterschied zu den Klassenkameraden zu groß; in der Grundschule ist das noch nicht so aufgefallen. Aber das sind wirklich Ausnahmen.
Wie gehen Sie darüber hinaus mit Hemmnissen oder Herausforderungen um?
Je nachdem, wann der Wechsel ins Drehtürmodell stattfindet, kann es sein, dass einige Fertigkeiten (zum Beispiel das Automatisieren des Einmaleins) mit Unterstützung der Eltern geübt werden müssen, damit der Anschluss möglich ist. Dies wird dann entsprechend im Vorfeld besprochen.
Der soziale Aspekt, also das Einfügen in die Lerngruppe und die Gewöhnung an eine andere Lehrkraft, ist bei uns in der Regel kein Problem, weil die Schüler:innen sowohl in jahrgangsgemischten als auch jahrgangsbezogenen Gruppen unterrichtet werden und in der Regel zwei Lehrkräfte als Bezugspersonen haben.
Außerdem arbeiten wir mit einem Pat:innensystem. Jedes Kind bei uns hat einen Paten bzw. eine Patin. Die Pat:innen arbeiten für ein Jahr zusammen, dann werden die Gruppen neu zusammengesetzt und es gibt wieder neue Pat:innen. Die Kinder aus dem ersten Schuljahr haben eine Patin/einen Paten im zweiten Schuljahr, die Kinder im zweiten Schuljahr eine Patin/einen Paten aus dem dritten, die Kinder im dritten eine Patin/einen Paten aus dem vierten Schuljahr. Die Pat:innen sitzen beim jahrgangsgemischten Lernen zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Beim Drehtürmodell hilft das ältere Patenkind zum Beispiel, indem es das Drehtürkind im anderen Raum abholt, die Tasche mit hinüberträgt und ein bisschen beschützend draufguckt, um die Eingewöhnung zu erleichtern.
Darüber hinaus setzen wir in allen Klassen die gleichen Regeln und Rituale ein, sodass sich die Schüler:innen auch hier nicht umgewöhnen müssen.
Wie ist diese Angleichung der Regeln und Rituale entstanden?
Das kommt aus der Notwendigkeit. Für Kinder, so schön sich das alles auch anhört, ist es eigentlich erstmal Stress, wenn sie sich in zwei Gruppen zurechtfinden müssen: Nach der ersten Stunde mit offener Lernzeit muss ich meine Sachen packen und in den anderen Raum, dabei kommen mir 15 andere Kinder entgegen, dann muss ich im anderen Raum wieder einen Platz finden und so weiter. Um das zu minimieren, sind alle Regeln gleich und unsere Klassenräume sehen, sofern die architektonischen Gegebenheiten das zulassen, auch alle gleich aus. Wir haben alle die gleiche Sitzordnung, wir haben alle die gleichen Regelkarten – sodass sich jedes Kind in jedem Raum wohl fühlt.
Für die Lehrkräfte bedeutet das im Negativen: Ich muss mich anpassen. Ich kann nicht immer gleich meine Idee umsetzen, spontan etwas anders machen oder die Tische umstellen. Im Positiven bedeutet es: Wenn wir Vertretungsunterricht geben, muss ich mir über vieles keine Gedanken machen. Welches Ruhezeichen nutze ich? Wo setze ich wie welche Haken? Welche Ansprache wähle ich? Wie ist der Ablauf? Das ist alles gleich.
Können alle Kolleg:innen diese Regelung gut annehmen, oder gibt es manchmal auch Widerstand aufgrund des Bedürfnisses nach größerer Individualität?
Die Kolleg:innen haben hier sehr gute Wege gefunden, ihre Individualität anders auszudrücken. Ich finde, man erkennt noch sehr gut die jeweilige Persönlichkeit der Kollegin oder des Kollegen – auch in der Klassenraumgestaltung, obwohl das Gros abgesprochen ist. Und auch Kolleg:innen, die neu kommen, lernen sehr schnell: Wenn ich eine tolle Idee habe, irgendetwas Neues gefunden habe, dann berichte ich das in der Konferenz, und in der Regel sagen fast alle anderen: „Cool, sollen wir das mal ausprobieren?“ Und dann probieren es halt alle aus. Insgesamt soll es auch nicht bremsen.
So entsteht also auch der Mehrwert, dass man seine persönlichen Ideen ins Kollegium einbringen muss, um sie umzusetzen?
Ja. Ganz bezeichnend war es, als eine Kollegin die Tische anders stellen wollte. Da sind wir in jeden Klassenraum gegangen und haben zusammen ausprobiert, ob sich das Konzept auch wirklich umsetzen lässt. Und als wir festgestellt haben, es geht in jedem Klassenraum, waren alle ganz zufrieden und glücklich und haben die Tische anders gestellt. Aber das geht natürlich bei uns sehr leicht, weil wir so klein und familiär sind.
Was passiert, wenn Kinder in der 4. Klasse nicht mehr in die nächste Klassenstufe drehen können?
Das machen wir immer davon abhängig, wie viele Kinder in dem Jahrgang und in dem Fach in der Drehtür sind und welche Kinder das sind.
Wir hatten schon einmal den Fall, dass sich zwei Kinder sehr gut verstanden haben und zudem sehr autonome Lerner waren. Die haben im gleichen Klassenraum an einem Extratisch gesessen, mit Material aus dem fünften Schuljahr, haben zwischendurch tatsächlich nur Hilfe eingefordert, wenn etwas neu war, was sie erklärt bekommen mussten, und haben sich die Inhalte ansonsten selbst erarbeitet. Wir hatten auch schon Kinder, die lieber mit der Masse mitlaufen, sich melden, wenn ihnen etwas zu langweilig ist und dann entsprechendes Material bekommen. Wir haben aus den vergangenen Jahren eine Fülle an additivem Material gesammelt, auf das Kolleg:innen zurückgreifen können. Mit diesem Fundus kann das Material dann immer auf das Kind abgestimmt werden.
Und wie geht es weiter, wenn die Kinder in die weiterführende Schule kommen?
Da blutet mein Herz. Es gibt zwar eine Zusatzförderung über Wettbewerbe, aber keine Förderung „nach oben“ wie bei unserer Form des Drehtürmodells. Gerade im fünften Schuljahr in Nordrhein-Westfalen ist der Stoff in Mathematik oft Wiederholung, ähnlich wie in Englisch, weil die Kinder von Grundschulen mit unterschiedlichen Lehrwerken kommen. Insbesondere die Kinder, die so pfiffig sind, brauchen in dieser Zeit Input von zu Hause.
Bei der Übergabekonferenz mit den weiterführenden Schulen geben wir entsprechende Hinweise zu den Kindern, das geht aber manchmal unter. Die Eltern bekommen von uns Hinweise zu passenden Schulen und auch die Anregung, die neue Lehrkraft auf die Begabungen aufmerksam zu machen; manchmal möchte man sein Kind aber auch nicht so ins Rampenlicht stellen. Wir beraten außerdem dahingehend, dass Kinder ein Instrument lernen oder an einer AG teilnehmen – Dinge, die sie auch an den weiterführenden Schulen verfolgen können. Der Übergang an die neue Schule ist zwar erst mal nicht langweilig – da sind neue Schulkameraden, viele neue Lehrer:innen, ein neues System, in das man sich einfügen muss –, aber später kommt die Unterforderung. Wenn Kinder dann durch Hobbys einen Ausgleich haben, relativiert sich eventueller Frust durch die Schule oft ein bisschen.
Gibt es aktuell Überlegungen zur Weiterentwicklung des Drehtürangebots, zum Beispiel mit der Digitalen Drehtür zu arbeiten?
Ja. Kinder in Deutsch, Mathe und gegebenenfalls Englisch mit der Drehtür zu fördern, ist zwar eine gute Sache, es lässt aber alle anderen Interessen und Begabungen etwas außen vor.
Eine Kollegin behandelt im Sachunterricht der Klassen 3 und 4 im Moment das Thema „Erfindung“. Sie kommt so erfüllt aus jeder Stunde und erzählt, was die Kinder ihr erklärt haben. Zum Beispiel hat ihr ein noch sehr junges Mädchen erläutert, wie der Lotuseffekt funktioniert; ein anderes Kind hat umfangreich vom Deutschen Museum erzählt. Ein weiteres Kind hat sich mit Patentrecht beschäftigt und dargelegt, welche Pläne es hat und wie es damit umgehen möchte. Aber seien wir ehrlich: Wenn sich eine Kollegin zum Beispiel zusätzlich mit dem Lotuseffekt beschäftigt, um ein Kind in seiner Arbeit dazu beraten zu können, geht das über ihre Kapazitäten. Das, was die Digitale Drehtür im Moment bietet, setzt genau da an. Das empfinde ich als echte Unterstützung.
Im Moment nehmen bei uns fünf Kinder an der Digitalen Drehtür teil. Das ist etwas, das wir weiterverfolgen werden. Eventuell werden wir auch noch eine Unterstützungsstunde für die Digitale Drehtür anbieten, damit sich Kinder in Phasen, in denen es für sie keinen Mehrwert hat, alles mitzumachen, rausziehen können, um an ihren persönlichen Projekten und Interessen arbeiten zu können.
Wie binden Sie Arbeitsphasen mit der Digitalen Drehtür konkret in die Unterrichtszeit ein?
Wir starten ohnehin jeden Morgen mit individuellem Arbeiten, da ist also schon einmal Zeit gegeben. Die Kinder üben dabei selbstständiges und diszipliniertes Lernen, Aufgaben kontrollieren und so weiter ein. In Mathe und Deutsch arbeiten wir ebenfalls oft mit individuellen Arbeitsplänen auf dem jeweiligen Niveau der Kinder. Diese Pläne gehen meistens über vier bis fünf Wochen und behandeln ein bestimmtes Thema. Am Anfang steht die Feststellung der Lernausgangslage, danach folgt ein dreifach differenziertes Übungsmaterial – immer wieder unterbrochen von Erklärungen der Lehrkraft, die die Kinder optional nutzen können. Am Ende steht ein Ausgangstest.
So bestimmen wir ohnehin die Lernausgangslage und wissen, wenn ein Kind etwas schon kann und nur noch die herausfordernden Aufgaben bearbeiten muss, um in eine andere Kompetenzstufe zu kommen. Den Rest der Zeit kann es sich dann lieber mit etwas beschäftigen, was es gerade interessiert, damit es noch gerne in die Schule kommt. Ein Kind nutzt derzeit die Digitale Drehtür in Unterrichtsphasen, in denen es sich sonst langweilen würde. Dazu gibt es die Verabredung mit den Eltern, dass es sich in dieser Zeit mit seinen Projekten beschäftigt.
In diesem Kontext fällt es den anderen Kindern vermutlich wenig auf, wenn jemand die Digitale Drehtür nutzt?
Ja. Bei einem Jungen fiel es den anderen Kindern tatsächlich nur auf, weil er sich regelmäßig bei der Digitalen Drehtür anmelden musste und dabei manchmal Probleme hatte. Ihm wurde deshalb ein Tablet zugewiesen, und das gab ein großes Aufheulen bei allen anderen Kindern. Das war aber eher der Neid auf das reservierte Tablet und nicht, dass er an der Digitalen Drehtür teilnehmen darf.
Haben Sie Tipps für andere Schulen, die die Drehtür einführen oder umsetzen möchten?
Ich empfehle, sich einfach zu trauen und klein zu beginnen – ähnlich wie wir das jetzt mit der Digitalen Drehtür probieren. Dabei kann man feststellen, was für die eigene Schule, die Schülerschaft und die Eltern funktioniert. Man kann ruhig erst mal eine Kollegin oder einen Kollegen in einer Pilotphase ausprobieren und berichten lassen, um dann mit den sehr wahrscheinlich positiven Erzählungen andere Menschen ins Boot zu holen.
Wichtig ist auch, durchzuhalten. Wenn also einmal etwas nicht klappt, nicht gleich zu sagen: „Nein, das lassen wir.“
Zum Abschluss: Was schätzen Sie insgesamt am Konzept der Drehtür am meisten?
Am Drehtürmodell finde ich schön, dass sich die Eltern mit ihrer Sorge um die Kinder und die Kinder selbst so gut gesehen fühlen. Eltern, die entdecken, dass ihr Kind mehr kann als die anderen, stoßen in ihrem Umfeld nicht immer auf Verständnis. Diese Eltern erfahren beim Drehtürmodell: „Kein Ding, das nehmen wir ernst, das können wir weiter fördern.“ Und die Kinder merken: „Das macht mich nicht zum Problem, sondern da kann ich was machen!“
Unsere Interviewpartnerin

Sandra Schnadhorst
arbeitet seit 15 Jahren an der Overbergschule in Hagen, die sie seit dem Schuljahr 2019/20 auch als Schulleiterin leitet. Die Förderung von Begabungen ist ihr ein besonders Anliegen und prägt ihre tägliche Arbeit.
Das Gespräch führte

Dr. Claudia Pauly
hat Erziehungswissenschaften und Neuere deutsche Literatur studiert und zum Thema E-Learning in der Erwachsenenbildung promoviert. Als Projektleiterin in den Themenbereichen Schule und Digitales Lernen
der Karg-Stiftung liegen ihre inhaltlichen Schwerpunkte in der inklusiven Begabungs- und Begabtenförderung, im Einsatz innovativer Unterrichts-konzepte sowie in der Nutzung digitaler Möglichkeiten zum
Wissens- und Kompetenzerwerb.