Bitte erläutern Sie, was Drehtürmodell an Ihrer Schule bedeutet.
Das Drehtürmodell gibt es bei uns am Dürer-Gymnasium in Nürnberg schon seit über zehn Jahren. Seit dem Schuljahr 2020/21 gibt es eine neue Organisationsform, die unter anderem beinhaltet, dass ich Gespräche, schriftliche Vereinbarungen sowie Informationen an Kinder und Eltern, Lehrkräfte und Schulleitung koordiniere.
Welche Ziele werden damit verfolgt?
Bei der Drehtür sind für uns verschiedene Aspekte wichtig:
- personorientierte interessen- und potenzialorientierte Begabungsförderung
- höhere Motivation und Freude durch Akzeleration statt Langeweile
- Schule soll nicht bedeuten, dass Schüler:innen die Zeit dort „absitzen“, sondern dass die Potenziale und Interessen eines Kindes gesehen und adäquat gefördert bzw. (weiter-)entwickelt werden können.
- Entgegenwirken von Underachievement
- Vorbereitung auf Frühstudium
- Förderung der Eigenverantwortung
- Möglichkeit des Enrichments, zum Beispiel eine dritte Fremdsprache in naturwissenschaftlichem Zweig anbieten
Wie wird das Drehtürmodell an Ihrer Schule umgesetzt?
Am Dürer-Gymnasium gibt es drei verschiedene Formen der Drehtür, die auch organisatorisch unterschiedlich konzipiert sind.
Bei der klassischen analogen Drehtür muss zunächst Kontakt mit mir aufgenommen werden. In einem persönlichen Gespräch kläre ich dann mit der Schülerin/dem Schüler die Rahmenbedingungen, Anforderungen, Wünsche und eventuell auch Herausforderungen. Zusätzlich wird eine schriftliche Vereinbarung über die genaue Ausgestaltung der Drehtürmaßnahme erstellt (u.a. Fach, Klasse, Tag und Uhrzeit, Umgang mit Leistungsnachweisen, Absprachen bzgl. Nachholen versäumter Unterrichtsinhalte). Diese muss von Kind, Erziehungsberechtigten, der Schulleitung und mir unterschrieben werden. Alle betroffenen Lehrkräfte sowie die Klassenleitung erhalten eine Kopie dieser Vereinbarung und es gibt einen Vermerk im Zeugnis. Bei Unter- oder Überforderung nach dem Start der Drehtürmaßnahmen können in Gesprächen mit mir notwendige Änderungen vorgenommen oder auch Coaching-Angebote gemacht werden.
Die zweite Form ist die sogenannte Drehtür light: Dabei geht die Schülerin/der Schüler trotz Teilnahme an der Drehtür nicht in eine höhere Jahrgangsstufe. Das kann etwa sinnvoll sein, wenn es keine passende Stunde in der höheren Stufe gibt oder sich die Schülerin/der Schüler einfach noch nicht traut. Diese Schüler:innen bleiben dann im Klassenraum oder nutzen die Bibliothek, um dort an einem gesonderten Projekt zu arbeiten, das zuvor individuell mit der jeweiligen Fachlehrkraft vereinbart wurde. Das können zum Beispiel Literatur-Portfolios, eine Präsentation oder ein Film sein.
Daneben haben wir als dritte Option die Digitale Drehtür, deren Organisation ebenfalls bei mir liegt. Ich informiere alle Lehrkräfte, begabte Schüler:innen der Regelklassen sowie die Schüler:innen der Hochbegabtenklassen regelmäßig über dieses Angebot. Interessierte Schüler:innen erhalten von mir dann einen Zugang, sodass sie außerhalb des Unterrichts jederzeit an den digitalen Angeboten teilnehmen können. Auch eine Teilnahme während der Unterrichtszeit ist in Absprache mit mir möglich. Dazu müssen natürlich die Unterrichtsbefreiung, der Umgang mit Leistungsnachweisen etc. geklärt werden. In der Regel nehmen Schüler:innen dann mit Kopfhörern in der Bibliothek teil und kehren im Anschluss an den digitalen Kurs in ihre Klasse zurück.
Wie werden Schüler:innen für die Teilnahme ausgewählt?
Prinzipiell dürfen alle Schüler:innen teilnehmen, egal aus welcher Jahrgangsstufe und ob Hochbegabten- oder Regelklasse. Es bestehen drei Optionen:
- Option 1: „Neue“ Drehtür-Schüler:innen melden sich bei mir.
- Option 2: Schüler:innen, die bereits im letzten Schuljahr an der Drehtür teilgenommen haben, kontaktiere ich selbst am Anfang des Schuljahres.
- Option 3: Lehrkräfte schlagen mir potenzielle Drehtürler:innen vor.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Drehtür gemacht?
Bislang haben wir von den Teilnehmer:innen durchweg positives Feedback bekommen. Sie fühlen sich adäquat gefördert, langweilen sich nicht mehr und freuen sich auf den Unterricht in der höheren Jahrgangsstufe. Teilweise konnten wir auch generelle Verhaltensänderungen erkennen, etwa eine positivere Einstellung der Schule gegenüber, und mit der Drehtür Sozialkompetenz und Akzeptanz fördern. Insgesamt wird die Selbstreflexion der Schüler:innen gesteigert: Sie erkennen ihre eigenen (Leistungs-)Grenzen, werden bei den Themen Selbstorganisation, Eigenverantwortung und Kommunikation sicherer. Schließlich führt das Verlassen der eigenen Comfort-Zone auch zu mehr Verlässlichkeit.
Welche Herausforderungen haben Sie bei der Umsetzung der Drehtür erfahren? Welche Lösungen haben Sie dafür schon gefunden?
Beim Thema Herausforderungen fallen mir drei Felder ein: die frühzeitige Information der Beteiligten sowie das Thema Ansprechbarkeit, der Stundenplan und die generelle Motivation von Kindern, an der Drehtür teilzunehmen.
Zunächst war die Weitergabe von Informationen eine echte Herausforderung: Einen gemeinsamen Wissensstand bei Schulleitung, Lehrkräften und Klassenleitung herzustellen, lief früher oft chaotisch. Unsere Lösung war es, die Koordination in eine Hand zu legen. Ich habe jetzt den Überblick, kann gezielt informieren und weiß schon Bescheid, wo die Begabungen der einzelnen Schüler:innen liegen. So kann ich ihnen passende Angebote für Akademien, Uni-Veranstaltungen und Ähnliches machen und sie auch im folgenden Schuljahr wieder ansprechen.
Beim zweiten Feld, der Stundenplangestaltung, hat sich gezeigt, dass die Stundenpläne der verschiedenen Jahrgangsstufennatürlich nicht so konzipiert werden können, dass beispielsweise alle Mathestunden parallel liegen. Daher kann es unter Umständen schwierig sein, passende Stunden in einer höheren Jahrgangsstufe zu finden, und es kann vorkommen, dass sich der Stundenplan im Laufe des Halbjahrs häufig ändert. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sind für uns folgende Punkte von Bedeutung:
- Kommunikation: einfache Kontaktmöglichkeiten mit Lehrkräften und Schüler:innen schaffen
- Kreativität und Flexibilität: u.a. Raum schaffen, in dem das Kind die Inhalte des versäumten Unterrichts nachholen kann
- Organisation: Unterrichtsinhalte z.B. auf OneNote, Teams oder BayernCloud bereitstellen
- Feedback/Lob: Wertschätzung des Kollegiums für Bereitschaft und Flexibilität
- Coaching: z.B. Zeitmanagement mit Coach besprechen
Schließlich treibt uns die Frage um, wie wir noch mehr Kinder motivieren können, an Drehtürmaßnahmen teilzunehmen.
Als Koordinatorin der Hochbegabtenklassen kenne ich die Schüler:innen der Klassen sehr gut und spreche sie auch gezielt an, aber an einer Schule mit 900 Kindern kann ich nicht alle erreichen. Ich bin also auf das Engagement meiner Kolleg:innen angewiesen, um auch begabte Kinder in den Regelklassen zu erreichen und diese dann für die Teilnahme zu motivieren. Meine Lösung: Präsenz und „Flurfunk“. Ich gebe jedes Schuljahr aufs Neue eine Info an die Lehrerkonferenz und erinnere in Fachsitzungen an die Möglichkeiten, die die Drehtür bietet. Zudem erscheint in jedem Jahresbericht ein Artikel zur Drehtür und natürlich gibt es entsprechende Informationen auf der Homepage der Schule. Aber auch „informelle“ Aspekte helfen im Alltag: So sprechen sich positive Rückmeldungen der Schüler:innen, die an der Drehtür teilnehmen, sowohl in den Klassen als auch im Kollegium in der Regel schnell herum.
Unsere Interviewpartnerin

Doris Ianes
ist (Lern-)Coach für die Unter-, Mittel- und Oberstufe, Lehrkraft für die Fächer Englisch und Spanisch sowie organisatorische Leitung des Kompetenzzentrums für Begabtenförderung in Mittelfranken und der Hochbegabtenklassen am Dürer-Gymnasium in Nürnberg. Neben ihrer schulischen Arbeit ist sie als Karg Impulskreis-Moderatorin tätig. In ihrer Freizeit begeistert sie sich für Reisen, Literatur und Bergtouren.
Foto: joergschreier.de
Das Gespräch führte

Dr. Claudia Pauly
hat Erziehungswissenschaften und Neuere deutsche Literatur studiert und zum Thema E-Learning in der Erwachsenenbildung promoviert. Als
Projektleiterin in den Themenbereichen Schule und Digitales Lernen
der Karg-Stiftung liegen ihre inhaltlichen Schwerpunkte in der inklusiven Begabungs- und Begabtenförderung, im Einsatz innovativer Unterrichtskonzepte sowie in der Nutzung digitaler Möglichkeiten zum
Wissens- und Kompetenzerwerb.
Wer wissen möchte, wie Schüler:innen selbst die Drehtür erleben, findet in kurzen Statements zum Lesen und Hören Erfahrungsberichte, unter anderem aus dem Dürer-Gymnasium in Nürnberg. Eine weitere Perspektive bietet ein ausführliches Interview mit der Grundschullehrerin Sandra Schnadhorst.