Karg Magazin

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Interview

Drei Fragen an …

Prof. Dr.
Joseph S. Renzulli

ist Direktor des Renzulli Center for Creativity, Gifted Education, and Talent Development an der Universität Connecticut. Er hat jahrelang das National Research Center on the Gifted and Talented der USA geleitet. Seine Forschung konzentriert sich auf die Identifizierung und Entwicklung von Kreativität und Begabung sowie auf Schulmodelle, die zur Förderung hoher Potenziale bei jungen Menschen beitragen. Er ist Autor des Drei-Ringe-Konzepts zur Erfassung von Hochleistung, des Schoolwide Enrichment Model (SEM) und zahlreicher Bücher und Artikel, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Außerdem ist er Entwickler des webbasierten Renzulli Learning System (RLS) und der Renzulli Academy in Hartford.

01

Was bedeutet die Idee des Drehtürmodells für Sie?

Die Idee des Drehtürmodells ist, jeder Schülerin und jedem Schüler (ob sie als „hochbegabt“ identifiziert wurden oder nicht) Zugang zu besonderen weiterführenden Lernangeboten zu ermöglichen, wenn sie oder er ein starkes Interesse erkennen lässt, sich in ihren oder seinen Interessen oder einer kreativen Idee zu vertiefen.


Das Drehtürmodell basiert auf meiner Theorie zur Entwicklung von Begabung und Hochleistung („gifted behavior“), für die das Modell der drei Enrichment-Typen zentral ist (Enrichment Triad Theory). Demnach stehen allen Schüler:innen Enrichment-Angebote des Typs I (allgemeine Entdeckungen, Erkundungen, „Schnupperaktivitäten“ ) und des Typs II (Grundfertigkeiten im entdeckenden und forschenden Lernen) zur Verfügung. Schüler:innen, die hier starkes Interesse entwickeln, können im Drehtürmodell dann aus dem Unterricht heraus und in Typ-III-Angebote „hineindrehen“ (eigenständige Forschungsprojekte und kreative Projekte, allein oder in Gruppen).

02

Warum ist die „Drehtür“ ein Herzensthema von Ihnen?

Ich habe zahlreiche Beispiele von produktiver Kreativität auf herausragendem Niveau bei Schüler:innen gesehen, ohne dass diese zuvor als besonders begabt identifiziert waren.


Viele Angebote für „die“ Hochbegabten orientieren sich ausschließlich an IQ-Werten oder Leistungstests. Ich bin der Überzeugung, dass alle Schüler:innen, die starke Interessen und Motivation zeigen, sich mit einem Thema vertieft auseinanderzusetzen, die Möglichkeit erhalten sollten, diese Interessen zu erkunden. Das bezeichne ich als begabungsfördernde Pädagogik („Gifted Education Pedagogy“).

03

Was hat Sie bei der Arbeit mit Schüler:innen in der Drehtür am meisten berührt?

Am meisten hat es mich berührt, zu sehen, wie junge Menschen, die unter gewöhnlichen Umständen nicht diese Art von Lernmöglichkeiten gehabt hätten, auf das begeisternde Angebot dieser Art von Pädagogik „anspringen“ – eine Pädagogik, die abweicht von der lehr-zentrierten und durchdidaktisierten Pädagogik, die den Unterrichtsalltag in vielen Schulen auf der ganzen Welt dominiert. Es gibt eine Vielzahl an Beispielen berühmter Persönlichkeiten, die der Welt wichtige Ideen, Produkte, Erfindungen gegeben und sozial und politisch zur Entwicklung der Menschheit beigetragen haben, ohne dass sie über IQ-Werte oder andere Tests als besonders begabt identifiziert worden wären. ‚An ihren Taten werden wir sie erkennen‘ – an den Dingen, die sie tun, wenn ihnen angemessene Gelegenheiten, Ressourcen und Ermutigungen gegeben werden.


Wir müssen allen Lehrkräften vermitteln, wie sie Schüler:innen erkennen können, die starke Interessen und eine hohe Motivation zu kreativem und produktivem Arbeiten zeigen. Und wir müssen die benötigten Ressourcen bereitstellen, um hier auf einem professionellen Niveau zu arbeiten.

Bildnachweis

Foto: Felipe Vargas Salazar – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=81708553

Zum Weiterlesen

Fachartikel von Joseph S. Renzulli

Im Karg Fachportal Hochbegabung finden Sie einen umfangreichen Originalartikel von Joseph S. Renzulli aus dem International Journal for Talent Development and Creativity in deutscher Übersetzung. Unter dem Titel „Welches pädagogische Konzept liegt (zumindest idealerweise) Programmen der schulischen Begabungsförderung zugrunde?“ zeigt er, welche Vorteile es haben kann, wenn sich Schulen für mehr Innovation und kreative Prozesse öffnen.

Mehr zur Entwicklung des Drehtürmodells und seinen theoretischen Hintergründen erfahren Sie in einem Fachbeitrag von Silvia Greiten.

  • Zum Fachbeitrag „Das Drehtürmodell“

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