Interview mit einer pädagogischen Fachkraft

(Foto: privat)

Christiane Raber

arbeitet seit 2013 in der Hans-Georg Karg Kindertagesstätte – Haus für Frühe Bildung und Begabung in Nürnberg. Sie ist Erzieherin und Sprachfachkraft und arbeitet gruppenübergreifend in der gesamten Einrichtung. Sie führt Workshops durch und ist für die Vorschule zuständig. Ihren Therapiehund Bruno, der bei den Kindern sehr beliebt ist, bringt sie regelmäßig mit in die Einrichtung.

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Was finden Sie an der Methode des Frühen Service Learning besonders bereichernd?

Das Tolle am Frühen Service Learning ist, dass damit Wertschätzung für Kinderwissen ausgedrückt werden kann. Nicht wir, die Erwachsenen, sind allwissend – es ist wichtig, dass wir auch junge Kinder ernst nehmen. So können wir schon in der Kita individuelle Kompetenzen fördern und eine andere Form von Partizipation ermöglichen. Gleichzeitig hat das Frühe Service Learning nicht nur Vorteile für das Kind, das etwas vorbereitet, sondern auch die anderen Kinder können dadurch motiviert werden, ihr Wissen zu teilen und selbstbewusst aufzutreten. So können alle Kinder schon früh erfahren: Ich bin gut so wie ich bin.

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Inwieweit fördert das Frühe Service Learning die Begabungen von Kindern?

Kinder, die viel Input brauchen, zum Beispiel aufgrund einer hohen (kognitiven) Begabung oder einer Hochbegabung, saugen Wissen förmlich auf. Das Frühe Service Learning ist also eine gute Methode, um an diesen Wissensdrang anzuknüpfen. Doch nicht nur das Wissen selbst steht im Vordergrund. Das Kind bereitet sich zum Beispiel bei der Durchführung eines Morgenkreises auch darauf vor, wie es anderen etwas vermitteln möchte und welche Informationen die anderen Kinder aufnehmen können.

Andere begabte Kinder kommen dadurch in Berührung mit Themengebieten, mit denen sie sich bislang vielleicht gar nicht oder nur wenig beschäftigt haben, was wiederum neue Anreize schafft. Und schließlich wird Wissen in der Kita-Gruppe positiv besetzt: Es ist eben nicht seltsam, sehr viel über ein spezielles Thema zu wissen; vielmehr kann das Kind zeigen, was es alles weiß und kann. Dadurch erfährt es Wertschätzung und erhält Aufmerksamkeit, sodass sein Selbstbewusstsein und seine Selbstsicherheit gestärkt werden.

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Frühes Service Learning kann in der Kita zum Beispiel in einem Morgenkreis umgesetzt werden. Welche anderen Möglichkeiten gibt es noch?

Das lässt sich ganz vielfältig gestalten: Kinder, die zum Beispiel künstlerisch begabt sind, können ihre Werke in den Räumen der Kita ausstellen und für die anderen Kinder, die Fachkräfte oder auch die Eltern eine Art Vernissage veranstalten. Dort haben sie die Möglichkeit, ihre Bilder vorzustellen oder Methoden zu entwickeln, um eine abwechslungsreiche Betrachtung durchzuführen.

Es gibt auch Kinder, die in der Kita eigene Workshops organisieren und umsetzen, an denen andere interessierte Kinder freiwillig teilnehmen. Oder die Kinder besuchen freiwillig einen Elternabend, um auch den Eltern der Kita ihr Wissen weiterzugeben und den Kreis der Zuhörer:innen zu erweitern. Es gab auch schon Kinder, die beispielsweise mit ihren Angeboten in die Schule gegangen sind, um ihr Wissen an die Schulkinder weiterzugeben. Andere Formen und Projekte können aber auch durch das Kind selbst entwickelt werden. Das muss keine Vorgabe durch die Fachkräfte sein. Der Kreativität und dem Einfallsreichtum der Kinder sind keine Grenzen gesetzt.

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Was ist besonders wichtig, um die Lernprozesse der Kinder (beim Frühen Service Learning) zu begleiten?

Hier würde man vielleicht erwarten, dass die Antwort in Richtung konkreter Handlungsanleitungen oder der gemeinsamen Überprüfung der Fakten gehen könnte. Tatsächlich geht es aber in eine andere Richtung: Wertschätzung und Akzeptanz stehen hier an erster Stelle. Man sollte den Kindern unbedingt auf Augenhöhe begegnen und sie ernst nehmen. Dafür ist es wichtig, sich zurückzunehmen, genau hinzusehen und zu beobachten. Kinder benötigen einen sicheren Rahmen, um explorieren zu können. Wenn eine Wohlfühlatmosphäre besteht, in der Raum für Spontaneität und die Umsetzung für eigene Ideen ist, ist das die beste Voraussetzung.

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Die Durchführung eines Morgenkreises ist ein Angebot in Ihrer Kita, das die Kinder in Anspruch nehmen können, wenn sie möchten. Wie unterstützen Sie die Kinder dabei?

Auf der einen Seite bieten wir ganz praktische Hilfestellung an, wenn die Kinder sie brauchen: Wir unterstützen bei der Suche nach Büchern, einer Internetrecherche oder der Besorgung von Materialien, die für den Morgenkreis benötigt werden.

Auf der anderen Seite sind wir auch für die mentale und emotionale Unterstützung da – sowohl während der Vorbereitungszeit, etwa wenn Kinder zweifeln, ob sie sich die Vorstellung ihres Themas im Morgenkreis zutrauen, als auch während der Durchführung des Morgenkreises. Auch im Nachgang an den Morgenkreis unterstützen wir emotional, wenn Kinder sehr selbstkritisch sind.

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Wie gestalten Sie einen geschützten Rahmen, und wie sorgen Sie für eine wertschätzende Situation, wenn das Kind einen Morgenkreis durchführt?

Das gelingt, wenn zwischen Kindern und Fachkräften eine gute Bindung aufgebaut wurde und sie sich wertgeschätzt und sicher fühlen. Auf der Ebene der Kinder entsteht ein geschützter Rahmen, indem von allen auf eine vertrauensvolle Basis und positive Kommunikation geachtet wird und das vortragende Kind durch die Erzieher:innen Schutz und Sicherheit erfährt. Die Kinder wissen, dass sie sich melden und einander zuhören dürfen. Nach dem Morgenkreis darf das Kind, das im Mittelpunkt steht, entscheiden, ob es eine „warme Dusche“ haben möchte. Das bedeutet, dass die anderen Kinder hervorheben, was ihnen besonders gut gefallen hat. Oft fallen dabei sehr berührende, dankende Worte. Jede Vorstellung wird mit Applaus und Jubel abgeschlossen.

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Wie geben Sie dem Kind (im Nachgang) kindgerechtes Feedback?

Das unterscheidet sich nicht besonders von der Rückmeldung durch die anderen Kita-Kinder. Wir achten auf eine wertschätzende Sprache im Sinne der „warmen Dusche“. Zudem nehmen wir uns im Nachgang noch einmal Zeit, um den Morgenkreis mit dem Kind ausführlich zu reflektieren. Gleichzeitig ist uns wichtig, dass das Kind sich nicht abhängig von Anerkennung durch das Außen macht, um sich wertvoll zu fühlen. Denn statt des Ergebnisses werden der Prozess und der Weg ausschlaggebend, um Vertrauen in sich selbst zu finden und weiterhin neugierig und motiviert zu sein.

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Wie dokumentieren Sie die Lernprozesse des Kindes?

Bislang arbeiten wir vor allem mit Fotos und kurzen Feedbacks, die im Portfolio des Kindes abgeheftet werden können. Auch Lerngeschichten sind eine Möglichkeit, die Lernprozesse des Kindes festzuhalten.

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Wie regen Sie das Kind zur Selbstreflexion an?

Dafür eignen sich verschiedene, ganz konkrete Fragen:

• Was ist dir leichtgefallen?

• Was hat dir besonders gut gefallen?

• Gab es etwas, was dir eventuell schwerfiel?

• Wie hast du dich dabei gefühlt?

• Wie fühlst du dich jetzt?

• Kannst du dir vorstellen, weitere Morgenkreise zu halten?

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Wie beziehen Sie die Eltern in den gesamten Lernprozess mit ein?

Häufig wollen die Kinder ihre Morgenkreise zu Hause, eventuell gemeinsam mit den Eltern, vorbereiten, sodass die Fachkraft nur koordinierend unterstützt und Ansprechpartner:in für das Kind und die Eltern ist. Manchmal, je nachdem, wie ein Kind sein Angebot gestaltet, können Eltern auch aktiv als Teilnehmende oder Zuhörende eingebunden sein. Darüber hinaus gehen die Fachkräfte und die Eltern im Allgemeinen auch über die Lernprozesse des Kindes ins Gespräch. Das kann zum Beispiel eine Rückmeldung der Fachkraft sein, dass das sonst zurückhaltende Kind selbstbewusst vor der Gruppe gesprochen hat und sicher im Thema war. So kann man zusammen mit den Eltern schauen, was das Kind brauchen könnte, um auch in anderen Situationen selbstsicher aufzutreten. Die Zusammenarbeit mit den Eltern bezieht sich häufig auch auf Alltags- und/oder soziale Kompetenzen wie Anziehen, Abschiede gestalten, Verantwortung übernehmen oder das soziale Verhalten des Kindes.

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Warum genau fördert die Durchführung eines Morgenkreises die Begabungen von Kindern?

Der Kindermorgenkreis eignet sich besonders, weil alle angesprochen werden. Das Kind, das den Morgenkreis übernimmt, fühlt sich gesehen und erfährt, dass es normal ist, besondere Interessen in einem Spezialgebiet zu haben (Stichwort: Ich bin gut so wie ich bin). Dadurch wird natürlich das Selbstbewusstsein gestärkt. Auf formaler Ebene wird das Wissen vertieft, aber auch (lern-)methodische Kompetenzen werden gefördert: Das Kind lernt, wie man „frei“ redet, auch wenn man sich viele Fakten merken muss. Bei der Vorbereitung lernt es, Prioritäten zu setzen in Bezug auf das, was ihm für die Präsentation wichtig ist. Schnell wird so klar: Wissen ist toll.

Die anderen Kinder aus der Kita kommen gleichzeitig mit vielen verschiedenen Themen in Kontakt, denen sie sonst vielleicht nicht begegnet wären. Und durch die Erfahrung als „Teilnehmer:in/Zuhörer:in“ fühlt sich jedes Kind ermutigt und motiviert, selbst einen Morgenkreis zu halten.

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