»Die Kultur des Lernens orientiert sich stets an den Interessen der Kinder sowie ihrer intrinsischen (Lern-)Motivation, sodass ihre Begabungspotenziale Einzug in die Gestaltung des Kita-Alltags halten.«

Frühes Service Learning ermöglicht inklusive Teilhabe

Das Frühe Service Learning oder übersetzt „Frühes Lernen durch Engagement“ 1 ist eine alltagsintegrierte Methode der frühen Begabungsförderung in der Kita. Sie kann in besonderer Weise dabei unterstützen, auf die individuellen Interessen von Kindern einzugehen und ihnen Raum zum Forschen, Experimentieren und intensiven Lernen zu geben. Denn „Kinder wollen lernen – und sie lernen in der Kita nicht in strukturierten Einheiten wie in der Schule, sondern sie lernen überwiegend praktisch, informell und empathisch.“ 2 Damit ist das Frühe Service Learning auch eine Möglichkeit, um individuelle Förderangebote alltagsintegriert in der Kita umzusetzen.

Oft haben Kinder bereits in verschiedenen Themen ein umfangreiches Expert:innenwissen, das sie gerne an andere Menschen weitergeben wollen. Insbesondere Kinder mit hohen kognitiven Begabungen verfügen häufig über einen großen Wissensschatz in verschiedenen Themen, welchen sie gerne aktiv in den Kita-Alltag einbringen möchten. Indem es Kindern durch das Frühe Service Learning ermöglicht wird, die Rolle eines „Experten“ oder einer „Expertin“ in einem bestimmten Themengebiet einzunehmen, werden die kindliche Selbstsicherheit, das Selbstbewusstsein und die Empathie gefördert.

Von diesem Wissen können alle Kinder profitieren. Denn das Lernen findet in einer geschützten Gemeinschaft statt, was unter anderem Demokratie- und Sozialkompetenzen stärkt 3. So liegt dem Frühen Service Learning auch ein inklusiver Gedanke zugrunde: Jedes Kind wird durch einen ressourcenorientierten Blick in seinen Stärken gesehen und bei der Entfaltung seines Potenzials unterstützt. Auch die Teilhabe an den Lernangeboten anderer Kinder ist interessengeleitet und selbstbestimmt.

Wissensschätze wahrnehmen und entfalten

Durch das Frühe Service Learning kann es beispielsweise ermöglicht werden, dass Kinder selbst einen Morgenkreis leiten oder kleine Workshops betreuen. Dazu bereiten die Kinder in größtenteils selbstgesteuerten Lernprozessen die Inhalte für andere Kinder vor und werden dabei von den pädagogischen Fachkräften in einem individuellen Maß unterstützt. Dabei erwerben die Kinder neben fachlichen Inhalten auch lernmethodische Kompetenzen, da sie sich damit auseinandersetzen, wie sie beispielsweise einen Morgenkreis oder Workshop gestalten möchten. Sie eignen sich neues Wissen an, vertiefen bereits vorhandenes Wissen und geben es an andere weiter. Grundvoraussetzung für das Gelingen des Frühen Service Learning ist, dass die Kinder sich die Durchführung der Angebote selbst zutrauen und sich dazu bereit fühlen.

Die Ideen und Wissensschätze, die die Kinder in die Angebote des Frühen Service Learning einbringen möchten, sind sehr vielfältig.

Hört unser Fallbeispiel zum Thema »Dinosaurier« an.

Sprecher: Max Dörken
Sprecherin: Lisa Pohlmeier
Kinder: Milla & Stella

Neben dem Dinosaurier-Thema aus unserem Fallbeispiel können weitere Interessengebiete wie beispielsweise Unterwasserwelt, Tiere oder Wald spannend sein. Da die Themen stark variieren können und jedes Kind individuell nach seiner Motivation und seinen Möglichkeiten partizipiert, unterscheidet sich jeder Lernanlass für das Frühe Service Learning situativ.

Individuelle Lerngelegenheiten durch das Frühe Service Learning

Neben dem Leiten von Morgenkreisen gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, Frühes Service Learning zu ermöglichen. Beispielsweise können Experimente geplant und durchgeführt oder Bücher sowie Brettspiele vorgestellt werden. Auch eine Kombination aus mehreren Medien und Durchführungsvarianten ist denkbar. Hier sind der Fantasie und Kreativität der Kinder keine Grenzen gesetzt.

Die Leitidee des Frühen Service Learning ist das frühe Lernen durch Engagement: Die beiden Leitgedanken „Service“ und „Learning“ müssen immer parallel gedacht werden. Das Ziel ist, dass durch die Übernahme von Verantwortung – wie zum Beispiel das Durchführen und Leiten des Morgenkreises – kognitive Lernprozesse angestoßen werden. Bei unserem Fallbeispiel wurde konkret durch die Idee, im Morgenkreis von Dinosauriern zu berichten, Engagement erwirkt. Die Kinder haben sich engagiert und sich tiefergehend mit dem Thema Dinosaurier beschäftigt. Dadurch wurde zunächst ihr persönlicher Lernprozess angeregt, da neues Wissen erworben und bereits vorhandenes Wissen ergänzt wurde. Darüber hinaus haben sie beim Berichten über ihr Dinosaurier-Wissen die kognitiven Prozesse der zuhörenden Kinder gefördert. So haben alle etwas Neues gelernt: Das Kind selbst, andere Kinder ebenso wie pädagogische Fachkräfte, Eltern oder andere Bezugspersonen – je nach Öffnungsgrad des Angebots.

Durch das Einbringen eigener Ideen wird die (intrinsische) Motivation der Kinder gesteigert und sie erleben Selbstwirksamkeit. „Selbstwirksamkeit entsteht […] nur dann, wenn die Person die Erfolge auch auf ihr eigenes Handeln zurückführt“ 4. Eine gute Unterstützung und Begleitung der pädagogischen Fachkräfte tragen ebenfalls zu einer erhöhten Motivation bei. Die pädagogischen Fachkräfte und das Kind bzw. die Kinder begeben sich dazu in einen Prozess der Ko-Konstruktion. Sie treten in eine Lerngemeinschaft ein, was eine professionelle Haltung und Selbstreflexion der pädagogischen Fachkraft erfordert. Die pädagogische Fachkraft übernimmt auch den pädagogisch diagnostischen Begleitprozess aus Beobachtung, Dokumentation und Reflexion.

Methodisches Vorgehen

Die Methoden-Bausteine zum Frühen Service Learning finden Sie in der Toolbox »Methodisches Vorgehen«.



Frühes Service Learning = gelebte Partizipation

Frühes Service Learning ist in der Kita optimal praktizierbar, da die Methode den Kindern Möglichkeiten bietet, im Kita-Alltag aktiv und selbstbestimmt mitzuwirken. Für die pädagogischen Fachkräfte bedeutet das, den Kindern Freiraum in ihrem Wirken zu lassen, ihre Ideen und Themen wahrzunehmen sowie sie zu respektieren und Partizipation zu leben. Damit ist kein Mehraufwand verbunden, da die Kinder eigenständig mitwirken und einen Teil ihrer Routine selbst übernehmen: In unserem Fallbeispiel war das die Durchführung des Morgenkreises, der von den Kindern vorbereitet und moderiert wurde, statt von den Fachkräften selbst.

Das Vorbereiten und Moderieren des Morgenkreises sind die eigentlichen „Service“-Leistungen und auch die Aneignung des Lerninhalts für das betreffende Kind. Die anderen Kinder lernen am Modell, und alle Beteiligten lernen zusätzlich Aspekte des Expert:innenwissens. Die Kultur des Lernens orientiert sich stets an den Interessen der Kinder sowie ihrer intrinsischen (Lern-)Motivation, sodass ihre Begabungspotenziale Einzug in die Gestaltung des Kita-Alltags halten.

Das Frühe Service Learning bietet durch das wertschätzende Aufgreifen der Ideen und Themen der Kinder vielfältige Einsatzmöglichkeiten, die für alle Beteiligten einen Mehrwert bieten. Angebote, die den Gedanken des Frühen Service Learning entsprechen, können Inklusion und Teilhabemöglichkeiten von allen, jedoch im Besonderen von (hoch-)begabten Kindern unterstützen. Als gelebte Praktik kann sie zu einer inklusiven Kita beitragen, in der jedes Kind in seiner Individualität und Vielfalt anerkannt und wertgeschätzt wird.

Quellen

1 Seifert, A.; Zentner, S.; Nagy, F. (2019): Praxisbuch Service-Learning, 2. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz, S. 13.

2 Ruckdeschel, R. (2013): Verantwortungsgenese im Elementarbereich am Beispiel der Hans-Georg Karg Kindertagesstätte, Nürnberg. In: Hackl, A.; Pauly, C.; Steenbuck, O.; Weigand, G. (Hrsg.): Begabung und Verantwortung. Karg-Hefte – Beiträge zur Begabtenförderung und Begabungsforschung, 5. Frankfurt a. M.: Karg-Stiftung, S. 59.

3 Seifert, A.; Zentner, S.; Nagy, F. (2019): Praxisbuch Service-Learning, 2. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz, S. 13.

4 Ebd., S. 136.

Unsere Autor:innen

Lisa Pohlmeier
ist Kindheitspädagogin und leitete mehrere Jahre eine Kindertageseinrichtung in Hamburg. Seit 2020 ist sie als Projektleitung Frühe Bildung bei der Karg-Stiftung und begleitete die Hans-Georg Karg Kindertagesstätte – Haus für Frühe Bildung und Begabung bei der operativen Umsetzung des Frühen Service Learning. In anderen bundesweiten Projekten begleitet sie Kitas auf ihrem individuellen Weg und in ihrer Entwicklung zu begabungsförderlichen Einrichtungen.

Reinhard Ruckdeschel
war langjähriger Leiter des Hauses für Frühe Bildung und Begabung in Nürnberg und Fachbereichsleiter Kinder, Jugend, Familie im CJD Bayern. Die Idee und die Implementierung des Frühen Service Learning in der Einrichtung war eine von vielen innovativen pädagogischen Entwicklungen, die er in dieser Zeit in der Einrichtung erfolgreich umsetzte. 2023 konnte Ruckdeschel seine Leitungsaufgaben abgeben und ist seitdem freiberuflich als Psychologe und Autor tätig.

Beatrix Hirschbolz-Ter
arbeitet seit 2006 in der Hans-Georg Karg Kindertagesstätte – Haus für Frühe Bildung und Begabung in Nürnberg. Sie ist Diplom-Kindergartenpädagogin, Angebotsleitung Elementarpädagogik des CJD Bayern sowie seit 2013 Leitung der Einrichtung. Mit dem Erkennen und Fördern von besonders begabten Kindern folgt sie ihrer Berufung. Als Lehrbeauftragte der EVHS Nürnberg sensibilisiert sie Fachkräfte für das Thema frühe Begabungsförderung, um Kinder in den Einrichtungen genau zu beobachten und sie nach ihren Bedürfnissen zu fördern.

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© Marion Vogel