Umweltfaktoren
Die Fragestellung „Wer oder was trägt zur Förderung hoher BegabungenHohe Begabung bezeichnet das überdurchschnittliche geistige Potenzial eines Kindes im Kita-Alter (0–6 Jahre). In diesem Alter kann eine Hochbegabung aus verschiedenen Gründen noch nicht zuverlässig festgestellt werden. Wird im Kita-Alter ein (weit) überdurchschnittliches Leistungspotenzial vermutet, wird daher von hohen oder besonderen Begabungen gesprochen.
Eine hohe (kognitive) Begabung kann sich zu einer Hochbegabung entwickeln, welche unter günstigen Umweltbedingungen und bei gezielter Anregung in herausragenden Leistungen resultieren kann. Hohe (kognitive) Begabung bezeichnet damit bei kleinen Kindern die Möglichkeit (nicht das Vorliegen) außergewöhnlicher Leistung. Mehr im Kita-Alter bei?“ richtet den Fokus auf die Umwelt eines Kindes mit hoher (kognitiver) BegabungBegabung bezeichnet intellektuelle Fähigkeits- bzw. Leistungspotenziale eines Menschen. Unter günstigen Bedingungen können sich Begabungen zu herausragenden Leistungen oder großem Kenntnis- und Wissensreichtum entwickeln.
Begabung bezeichnet damit die Möglichkeit – nicht das Vorliegen – hoher Leistung. „Hochbegabung“ stellt eine besonders hochgradige Ausprägung von „Begabung“ dar. Von „hoher Begabung“ spricht man bei Kindern im Kita-Alter, bei denen eine Hochbegabung vermutet, aber noch nicht zuverlässig festgestellt werden kann. Mehr. „Für alle Kinder spielen neben den individuellen Dispositionen Umweltfaktoren eine zentrale Rolle. Damit Kinder ihr reiches Lern- und Entwicklungspotenzial einbringen und weiterentwickeln können, sind sie auf ihre Umwelt angewiesen“ 1 . Dies gilt ebenso für die Entdeckung und Entfaltung hoher Begabungen bei Kindern im Kita-Alter. Auch hier sind Faktoren ihrer Umwelt bedeutsam, die die Ausschöpfung des PotenzialsDer Begriff Potenzial beschreibt die Voraussetzungen und Möglichkeiten von Kindern bzw. Jugendlichen auf einem bestimmten Gebiet (Hoch-)Leistungen zu erbringen. Mehr begünstigen oder ausbremsen. Bei ungünstigen Umweltbedingungen können Begabungen von Kindern gar unentdeckt bleiben. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Kindern durch ihre Umwelt Lerngelegenheiten geboten werden, die sie in ihrer Entwicklung und in ihrer Begabungsentfaltung fördern. Dazu wird nachfolgend beleuchtet, inwieweit das familiäre Umfeld, Kindertageseinrichtungen und PeersPeers sind Kinder oder Jugendliche, die sich gleichrangig und aus subjektiver Bedeutung heraus einander zugehörig fühlen. Sie bilden eine sogenannte Peergroup. Unabhängig vom Alter der Kinder oder Jugendlichen können für das Zugehörigkeitsgefühl vor allem ein ähnlicher Entwicklungsstand und die Bewältigung von ähnlichen Entwicklungsaufgaben ausschlaggebend sein.
Kognitiv besonders begabte bzw. hochbegabte Kinder und Jugendliche können sich in ihrem Entwicklungsstand, sowie in ihren Interessen und Kompetenzen von Gleichaltrigen unterscheiden. Es kann auch vorkommen, dass sie Entwicklungsaufgaben zu einem anderen Zeitpunkt bewältigen als Gleichaltrige, weshalb sie sich eher anderen Peers oder Peergroups verbunden und zugehörig fühlen können. Mehr zur Förderung hoher Begabungen von Kindern beitragen können.
Familiäres Umfeld
„Kinder erwerben in ihrer Familie Kompetenzen und Einstellungen, die für das ganze weitere Leben bedeutsam sind“ 2. Dazu gehören auch die Vermittlung von Werten, die Ausgestaltung der Freizeit des Kindes und die Wahl der institutionellen Bildungseinrichtungen, die den gesamten Bildungsverlauf eines Kindes prägen können. Aus diesem Grund kommt der Familie eine bedeutsame Funktion in der individuellen FörderungIndividuelle Förderung berücksichtigt in der Gestaltung des Lernumfeldes die individuellen Neigungen, Lernvoraussetzungen und Lernbedürfnisse eines Kindes hinsichtlich Lerninhalten, dem Lerntempo und methodisch didaktischer Aufbereitung. Davon profitieren auch Kinder und Jugendliche mit einer hohen kognitiven Begabung. Mehr der Begabungen ihres Kindes zu. Bereits bei der Auswahl eines Kitaplatzes können Eltern auf ein ressourcenorientiertes, begabungsförderliches Konzept der Kita achten. Ergänzend kann eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen der Kita und den Eltern des Kindes einen wichtigen Beitrag zur Begabungsförderung des Kindes leisten. Denn „wenn Eltern Lerninhalte zu Hause aufgreifen und vertiefen, wird sich dies auf die kognitive Entwicklung und Lernmotivation des Kindes positiv und nachhaltig auswirken“ 3. Eine sich gut ergänzende Förderung des Kindes, bei der die Lerninteressen und Entwicklungsvorgänge in der Kita und im familiären Umfeld berücksichtigt werden, ermöglicht einen wertvollen ganzheitlichen Blick auf die Begabungen eines Kindes.
Kita als Türöffner für Bildung
Für bildungsferne Familien von besonders begabten Kindern kann eine professionelle und umfassende Beratung über die Möglichkeiten der außerinstitutionellen Förderung des Kindes durch die Kita ein Türöffner sein, sich trotz gegebenenfalls vorhandener Hürden um eine begabungsförderliche Freizeitgestaltung des Kindes zu bemühen.
Bei der Auswahl und dem zeitlichen Umfang der Lerngelegenheiten zur Begabungsentfaltung sollte das Kind partizipieren und aktiv mit einbezogen werden. Die Unterbreitung vielfältiger Angebote kann dem Kind helfen, sich auszuprobieren und seine eigenen Stärken und Begabungen zu entdecken 4. Im besten Fall greifen die institutionelle Begabungsförderung und die Begabungsförderung im familiären Umfeld ineinander und bestärken sich gegenseitig. Das Wohlbefinden des Kindes kann als wichtiger Indikator einer gelingenden Begabungsförderung des Kindes gesehen werden.
Kindertageseinrichtungen
„Die Frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen nimmt dabei in zweifacher Hinsicht eine wichtige Rolle ein: Sie kann helfen, kindliche Begabungen angemessen zu identifizieren und zu fördern sowie bei Bedarf nachteilige Herkunftseffekte auszugleichen. Ein ressourcenorientierterRessourcenorientierung umschreibt eine pädagogische und beraterische Haltung, die die persönlichen Stärken, Potenziale und Fähigkeiten einer Person und ihrer Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Die vorhandenen Ressourcen, deren Bewusstmachung und Stärkung werden als wesentliche Quelle für die lernbezogene und persönliche Entwicklung angesehen.
In einem ressourcenorientierten Sinne wird eine Hochbegabung nicht als möglicher Auslöser von Problemen im Unterricht oder im Leben betrachtet, sondern in erster Linie als Potenzial. Die Würdigung und Aktivierung dieses Potenzials unterstützt die erfolgreiche Entfaltung der Begabung und die Bewältigung von spezifischen Herausforderungen auf eine Art, die eine gelingende Integration der Hochbegabung in das Selbstkonzept fördert. Mehr Blick auf jedes Kind hilft Kitas, die Potenziale und Fähigkeiten aller Kinder unabhängig von Geschlecht und Herkunft zu erkennen und zu fördern. Die BeobachtungIn der Begabungs- und Begabtenförderung werden Beobachtungen und deren Dokumentation als ein Teil der pädagogischen Diagnostik eingesetzt, um besondere Begabungen bei Kindern und Jugendlichen erkennen zu können. Ziel ist es, Erkenntnisse z. B. über das Spiel-, Sozial- oder Lernverhalten von Kindern und Jugendlichen in der Kita oder Schule zu erhalten und auf dieser Grundlage pädagogische Entscheidungen zu treffen. Beobachtungen können dabei mithilfe von Checklisten oder Beobachtungsbögen, Portfolio, Bildungs- und Lerngeschichten durchgeführt werden. Mehr und DokumentationDie Dokumentation von Bildungsprozessen dient als Grundlage für die pädagogische Arbeit und pädagogische Entscheidungen in Kita und Schule und ist fester Bestandteil der Pädagogischen Diagnostik.
Ziel (früh-)pädagogischer Beobachtung und Dokumentation ist die Klärung, ob das pädagogische Angebot zu den Bedürfnissen des sich entwickelnden und lernenden Kindes passt und wie diese Angebote optimiert werden können. Mithilfe guter Dokumentation kann somit auch die Passung von Förderangeboten zu den Bedürfnissen hochbegabter Kinder überprüft und verbessert werden. Zu den (früh-)pädagogischen Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren zählen beispielsweise das Portfolio, Bildungs- und Lerngeschichten, Projektdokumentationen oder Produktpräsentationen sowie Checklisten oder Beobachtungsbögen. Mehr kindlicher Entwicklung sollte daher nicht nur mögliche Entwicklungsrückstände, sondern prinzipiell auch die Frage nach besonderen Stärken und Talenten der Kinder umfassen. Qualitätsvolle pädagogische Arbeit, die diese Stärken, die Interessen und Begeisterung der Kinder fördert, schafft die Grundlagen für Freude am eigenen Können, hohe intrinsische Lernmotivation und damit auch für die Entfaltung besonderer Leistungspotenziale“ 5.
Die Haltung der pädagogischen Fachkräfte, mit der sie den Kindern begegnen, bildet eine wichtige Grundlage, damit Kitas günstige Entwicklungsbedingungen für Kinder gestalten können. Dazu gehören unter anderem eine ressourcenorientierte Betrachtung der Kinder und die Selbstreflexion der eigenen pädagogischen HaltungEine Haltung ist eine individualisierte Zusammenstellung von mehr oder weniger stabilen Werten und Einstellungen, die die Entscheidungen und das Handeln prägen.
Eine professionelle pädagogische Haltung zeigt sich u. a. darin, bei pädagogischen Entscheidungen das Wohl aller Beteiligten zu berücksichtigen. Hierfür sind ein authentischer Selbstbezug und damit einhergehend eine gute Reflexionsfähigkeit, eine hohe Handlungs- und Selbstkompetenz und eine situationsspezifische Sensibilität für die Beteiligten wichtig.
Eine begabungsförderliche Haltung rückt die Begabungen und Ressourcen der beteiligten Personen in den Fokus. Sie ist eine grundsätzliche Handlungsmaxime des Entdeckens, Aufzeigens, Nutzens und Förderns von Begabungen (im Kita- und Schulalltag sowie im Beratungskontext) zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung und geht somit über den reinen Einsatz von begabungsförderlichen Diagnostikinstrumenten und Methoden hinaus. Sie kann nicht durch andere Personen aufgezwungen werden, sondern muss authentisch im Einklang mit anderen Einstellungen, Werten und Überzeugungen in das Selbst integriert werden. Dieser Prozess kann z. B. durch Aus-, Fort- und Weiterbildungen unterstützt werden. Mehr. Austausch und Dialog im Team, wie beispielsweise Herausforderungen im Alltag oder pädagogischen Fragestellungen begegnet werden können, bieten Chancen die Professionalität der Fachkräfte weiterzuentwickeln, die Qualität der Arbeit zu verbessern und die gemeinsame pädagogische Haltung der Fachkräfte zu stärken. Die Methode der konstruktiven Fallbesprechung kann dabei unterstützend eingesetzt werden.
Dabei können auch Fördermethoden besprochen und reflektiert werden, die Kinder im Kita-Alltag individuell in ihren Begabungen fördern und die Kinder dabei unterstützen, ihre eigenen Begabungen zu entdecken. Dazu zählt, Körperempfindungen bewusster wahrzunehmen, die bei angenehmen oder auch weniger angenehmen Tätigkeiten empfunden werden. Hierfür bieten sich beispielsweise Achtsamkeitsübungen mit Kindern an.
Achtsamkeit im Kita-Alltag
Achtsames Wahrnehmen lenkt die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick 6 und kann Kinder darin bestärken, in ihre eigenen Fähigkeiten und Begabungen zu vertrauen 7, indem sie durch Übungen dabei begleitet werden, in sich hineinzuhören und die eigenen Empfindungen zu erforschen. Achtsamkeitsübungen zur bewussten Wahrnehmung der Umwelt, des eigenen Körpers, der eigenen Gefühle oder auch der Gefühle des Gegenübers lassen sich gut in den Kita-Alltag integrieren und umsetzen. Dabei kann aus einer Vielzahl an einzelnen Methoden zur individuellen oder gemeinschaftlichen Durchführung geschöpft werden. Auch Übungen mit Spielpartner:innen, mit denen die Kinder sich wohlfühlen, sind möglich.
»Förderlich kann es sich beispielsweise auswirken, wenn Peers (…) die Chance erhalten, angeleitet wie selbstgesteuert mit Spielpartner:innen ihren Interessen bzw. Begabungen nachzugehen.«
Peers
Kindertageseinrichtungen, wie auch außerinstitutionelle Bildungsangebote bieten Kindern die Möglichkeit, beim gemeinsamen Spielen und Lernen in sozialen Kontakt mit Kindern unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen zu treten 8. Häufig finden sich dabei Spielpartner:innen zusammen, die einen ähnlichen Entwicklungsstand oder ähnliche Interessen haben – sogenannte Peers. Die konzeptionellen Strukturen von Kindertageseinrichtung und die damit gebotenen Möglichkeiten eines Zusammentreffens von Kindern, können entscheidend dafür sein, inwiefern Peers sich gegenseitig in ihrer individuellen Entwicklung oder Begabungsentfaltung unterstützen können. Förderlich kann es sich beispielsweise auswirken, wenn Peers sich gruppenübergreifend finden und treffen können und die Chance erhalten, angeleitet wie selbstgesteuert mit Spielpartner:innen ihren Interessen bzw. Begabungen nachzugehen. Um dies in der didaktischen Planung entsprechend zu berücksichtigen, kann es unterstützend sein, wenn die Angebotsstrukturen partizipativ mit den Kindern gestaltet werden. In der Korrespondenz mit Peers über Themen, Handlungen und Ideen können sich Kinder gegenseitig kognitiv bereichern und bereits erworbenes Wissen teilen. Ebenso können unter anderem kommunikative wie auch soziale Kompetenzen gefördert werden.
Synergieeffekte tragen zur bestmöglichen Förderung bei
Wenn bei der Förderung von Kindern mit hohen Begabungen das familiäre Umfeld, die Kindertageseinrichtung und Interaktionsmöglichkeiten mit Peers partizipative Lerngelegenheiten bieten, bei denen die Kinder ihre Begabungen selbstwirksam entdecken und entfalten können, lassen sich im besten Fall Synergieeffekte erwirken. Beispielsweise indem die Interessen der Kinder innerhalb und außerhalb der Kita durch Angebote gefördert werden, die die Kinder mit ihren Freunden und Peers gemeinsam erleben. Dazu können auch die Teilnahme an Kinderakademien, spezielle Kursangebote, die die Kinder interessieren oder auch altersgerechte Onlineangebote zählen. Durch die Vielfältigkeit an Angeboten stehen der Begabungsförderung alle Türen offen, wenn die Möglichkeiten genutzt werden.
Quellen
1 Hessisches Ministerium für Soziales und Integration; Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) (2015): Bildung von Anfang an. Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren, 7. Auflage. Wiesbaden: Hessisches Ministerium für Soziales und Integration; Hessisches Kultusministerium, S. 21.
2 Ebd., S. 108.
3 Ebd., S. 109.
4 Koop, C.; Seddig, N. (2020): Fragen und Antworten zum Thema hohe kognitive Begabung im Kita-Alter. Karg Hefte – Beiträge zur Begabtenförderung und Begabungsforschung, Karg Sonderheft I. Frankfurt a. M.: Karg-Stiftung.
5 Ebd., S. 20f.
6 Fessler, N.; Knoll, M. (2016): Kinder-Achtsamkeitstraining: Den Rücken trainieren – und Haltung bewahren. In: Praxis der Psychomotorik 41(3). Unter: https://verlag-modernes-lernen.de/pdf/artikel/vorschau/a18645-10.pdf (Abrufdatum: 27.02.2024; 14:30 Uhr)
7 Pyne, L. (2015): Mindfulness and the Gifted. Unter: https://educationaladvancement.org/blog-mindfulness-and-the-gifted/ (Abrufdatum: 27.02.2024; 14:30 Uhr)
8 Hessisches Ministerium für Soziales und Integration; Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) (2015): Bildung von Anfang an. Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren, 7. Auflage. Wiesbaden: Hessisches Ministerium für Soziales und Integration; Hessisches Kultusministerium, S. 55.
Unsere Autorin
Lisa Pohlmeier
ist Kindheitspädagogin und leitete mehrere Jahre eine Kindertageseinrichtung in Hamburg. Seit 2020 ist sie als Projektleitung Frühe Bildung bei der Karg-Stiftung und begleitete die Hans-Georg Karg Kindertagesstätte – Haus für Frühe Bildung und Begabung bei der operativen Umsetzung des Frühen Service Learning. In anderen bundesweiten Projekten begleitet sie Kitas auf ihrem individuellen Weg und in ihrer Entwicklung zu begabungsförderlichen Einrichtungen.
Bildnachweis
© Marion Vogel